Röntgenjahr 2020

Röntgendiagnostik und Kunst

Die Röntgendiagnostik ist außerordentlich vielfältig und umgreift nicht nur den menschlichen Körper, sondern nahezu sämtliche Gebiete der Technik und im weitesten Sinne auch der Kunst. Aufnahmen betreffs der Materialprüfung wurden bekanntlich von Conrad Wilhelm Röntgen 1896 bereits hergestellt.

Man denke nur an die Aufnahmen nahezu allen beweglichen Materials, das er in Würzburg in seinem Laboratorium vorfand. Er ist es, der seinen Schülern beigebracht hat, die Röntgenstrahlen in einem viel größeren Umfang auf alle Materialien zu erweitern und kritisch zu beleuchten. 

Recht schnell wurde klar, dass verschiedene Materialien, die unmittelbar nebeneinander oder gar übereinander positioniert sind, wie Farben, Steine oder Metallschichten, auseinander gehalten werden können. Zu allererst ist die Röntgendiagnostik von Kunstwerken absolut zerstörungsfrei, d. h. der Röntgenstrahl verändert das Material in keiner Weise. So können verschiedene Malschichten, Übermalungen, Reuezüge, sog. Reparaturen von Bildern, die verschiedensten Leinwände und Holzstrukturen im Röntgenbild  projiziert werden und danach mit Kunstwissenschaftlern diskutiert und erörtert werden. Bei tausenden von Bildern sind durch uns im Laufe des Lebens zahlreiche Übermalungen mit einem einzigen konventionellen Röntgenbild zu erkennen gewesen, wobei es spektakuläre Ergebnisse mit einem Blick zu deuten gab: Hinter der scheinbar mittelalterlichen venezianischen Landschaft im 17. Jahrhundert findet sich unmittelbar das Porträt eines italienischen Duce der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts. 

Durch die Einführung von computerassistierten Röntgenaufnahmen im CT lassen sich die einzelnen Schichten von Übermalungen oder Grundierungen mit Hilfe von einfachen Hilfsprogrammen differenziert darstellen: So lassen sich insbesondere für Restauratoren die Untergründe in den jeweiligen Farben eindeutig dedizieren, Leinwandschädigungen aufdecken und sogar den Tierbefall von hölzernen Strukturen prozentual abschätzen. Metallhaltige Objekte sind naturgemäß sehr leicht zu beurteilen. Bei  Kunstwerken wie Schnitzereien, Marmor- oder auch Steinskulpturen lassen sich durch  verschiedene röntgenologische Strahlungsdosierungen und Expositionszeiten auch Materialbinnenstrukturen gut darstellen: Insbesondere bei Holzfiguren sind in Zusammenarbeit mit der Forstwirtschaft dendrochronologische, zerstörungsfreie Nachweise des Alters einer Figur zu bestimmen: Die äußerlich gut erhaltene Madonna des 13. Jahrhunderts kann nicht aus einem Baum herausgeschnitzt worden sein, der nachweislich erst  im 19. Jahrhundert gewachsen und gefällt/bearbeitet worden ist. Auch feinste wichtige Einzelheiten auf Kunstwerken wie z. B. die nicht mehr sichtbare Signatur kann durch die Röntgendiagnostik recht häufig dargestellt werden, sofern irgendwelche Farbreste oder Gravuren oder verborgene Signaturen noch vorhanden sind. 

Die Röntgendiagnostik von Kunstwerken ist eine faszinierende Methode, mit Hilfe von vorhandenen Geräten aus der Humanmedizin ein breites Spektrum von weiteren Kriterien für Echtheit, Fälschung, Reparatur oder Zustand eines Kunstwerkes herauszufinden. Sehr häufig ergeben Röntgenbilder der Kunst überraschende Ergebnisse. Diese Untersuchungen sind  in der Regel bei bereits vorhandenen Röntgengeräten  kostengünstig und bei gutem Willen und Interesse der untersuchenden Radiologen kostenlos zu erstellen und danach zu diskutieren.

Literatur: A. Beck: Original – Fälschung. Bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Kunstwerken.
Schnetztor-Verlag Konstanz 1990, ISBN 3-87018-080-3

Russische Ikone des 17. Jahrhunderts mit Heiligenbildern, wahrscheinlich aus der Malschule von Kiew stammend.
Russische Ikone des 17. Jahrhunderts mit Heiligenbildern, wahrscheinlich aus der Malschule von Kiew stammend. Quelle: A. Beck: Original – Fälschung. Bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Kunstwerken. Seite 172. Schnetztor-Verlag Konstanz 1990, ISBN 3-87018-080-3)
Die Rückseite zeigt Scharnierreste, die auf eine Zugehörigkeit zu einem Altarflügel schließen lassen. Feinste Malerei mit individueller Darstellung hunderter Heiliger der Ostkirche, wie sie für die Schule von Kiew in damaliger Zeit bekannt war. Nur geringe Spuren von Übermalungen und Restaurierungen.
Das Übersichtsbild zeigt zu allererst eine ausgedehnte Zerstörung in Form eines X, das mit bloßem Auge nur retrospektiv erkannt werden kann.
Das Übersichtsbild zeigt zu allererst eine ausgedehnte Zerstörung in Form eines X, das mit bloßem Auge nur retrospektiv erkannt werden kann. Quelle: A. Beck: Original – Fälschung. Bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Kunstwerken. Seite 172. Schnetztor-Verlag Konstanz 1990, ISBN 3-87018-080-3)
Die feinsten Malereien mit der individuellen Abbildung jeder dieser Figuren scheint auch radiologisch zu einer eindeutigen hohen Kunstschule der besten Ikonenmalerei zu führen.
Bäuerlicher Christophorus, angeblich aus dem 18. Jahrhundert, bayerischer Provenienz.
Bäuerlicher Christophorus, angeblich aus dem 18. Jahrhundert, bayerischer Provenienz. Quelle: A. Beck: Original – Fälschung. Bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Kunstwerken. Seite 144. Schnetztor-Verlag Konstanz 1990, ISBN 3-87018-080-3)
Die Übersichtsaufnahme läßt hier eine Holzmaserung vermissen. Nur die Kanten der Figur sind deutlich sichtbar. Fassungsreste finden sich nicht. Fälschung!
Die Übersichtsaufnahme läßt hier eine Holzmaserung vermissen. Nur die Kanten der Figur sind deutlich sichtbar. Fassungsreste finden sich nicht. Fälschung! Quelle: A. Beck: Original – Fälschung. Bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Kunstwerken. Seite 144. Schnetztor-Verlag Konstanz 1990, ISBN 3-87018-080-3)
 

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